Das Dreizehnte Tor und der schlafende Drache

Das Dreizehnte Tor und der schlafende Drache

Johannes Feichtl


EUR 24,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 206
ISBN: 978-3-99130-406-7
Erscheinungsdatum: 05.03.2024
Eine finstere Macht erwacht aus ihrem tiefen Schlummer unter der Erde. Der tapfere Kroton erhält den gefährlichen Auftrag, das Wasser des Lebens zu suchen und die dunkle Bedrohung von seiner Heimat abzuwenden. Wird es ihm gelingen?
Vorwort


Die erste und die letzte Seite dieser Erzählung bezeugen ihren Charakter als initiatorisch – apokalyptischer Entwicklungsgang. Es ist ein Weg der sich auf rosenkreuzerische Weise in sieben Tagen vollzieht. Der siebente Tag ist ein Anklang an die Sieben Tage der Chymischen Hochzeit. Andererseits weist der letzte Satz auf die Offenbarung, auch auf Goethes Rätselmärchen.

So haben wir durchaus einen inneren Einweihungsweg zu erwarten, und ganz selbstverständlich wird sich diese Erwartung auf die beiden titelgebenden Elemente richten:

Das Dreizehnte Tor, den schlafenden Drachen.

Tatsächlich nimmt die Erzählung mit dem Motiv der Hochzeit ihren Anfang. Dies ist immer Bild einer angestrebten Vereinigung, ja: Einswerdung, mit Prüfungen, mit mir selbst. Entsprechend begegnen wir auch bald den beiden Schlüssel – Metaphern dieses Weges: Tore, Drache. Sie sprechen für sich und bedürfen keiner Erklärung, außer dem Willen, sich geduldig mit seiner ganzen Menschlichkeit und mit Mut darauf einzulassen. Damit beginnt Krotons Weg, ein Weg der Suche nach dem Inneren, dem Quell des Lebens. Der Kelch dafür, heißt es, stehe einem jeden bereit. Das Mysterium liegt ja darin, daß die Eins nur der finden kann, dem sich die Zwei zu Drei wandelt …

So erfüllt diese bildreiche, märchenhafte Erzählung exakt jene drei Bedingungen, die Friedrich von Hardenberg einst für jedes Rätsel – Märchen aufgestellt hatte, wonach

das echte Märchen zugleich prophetische
Darstellung, idealische Darstellung, absolut
Notwendige Darstelle sein

solle.

In Das Dreizehnte Tor und der schlafende Drache geht es aber über das Sollen hinaus und wird Tat. So mag es seinen Weg finden in die Kelche, die Herzen all derer, die sich darauf einzulassen wagen.

Marcus Schneider



Der alte König


In einem prächtigen Schloss lebte einst ein mächtiger König, der von den Menschen, die sich in seinem Reich niedergelassen hatten, geachtet und geliebt wurde. Auch Wanderer, die weite Wege hinter sich hatten, suchten den König auf, um seinen Rat und Beistand zu erbitten. Hilfreich stand er jedem zur Seite, und bereichert kehrten sie in ihre Heimat zurück. So verbreitete sich die Kunde über den weisen König in der ganzen Welt.

Seine Frau, die Königin, war vor vielen Jahren gestorben, dennoch gelang es dem König über die lange Zeit, sie in seinem Herzen lebendig zu halten. Bevor sie starb, schenkte sie ihm eine Tochter, die an Edelmut und Güte ganz der Mutter glich.

Am Tag der Geburt baten drei geheimnisvolle Frauen um Einlass in das Schloss. Niemandem im Königreich waren sie bekannt. Sie wurden gebeten, ihre Herkunft und ihre Namen preiszugeben.
Da sprachen sie nacheinander:

„Ich komme vom Osten, aus dem Land, das ‚der Anfang‘ wird genannt.“

„In meiner Welt endet die Zeit, der Weg dahin erscheint so weit.“

Und die Dritte sprach: „Und ich verbinde, was getrennt, weshalb man uns zu dritt nur kennt.“

Sie beteuerten, dass sie den langen und beschwerlichen Weg nur auf sich genommen hatten, um die Geburt der Königstochter zu preisen und ihr zu huldigen. So geschah es, dass der alte König sie in seinem Schloss willkommen hieß, und sie bezeugten die Geburt. Da erfüllte ein Klingen das ganze Land.

Gleich darauf wurde die Königstochter von den drei Frauen beschenkt, und das auf ihre Weise. Denn nacheinander sprachen sie:

„‚Enya‘ werde ich dich nennen, ein Fluch für die, die dich nicht kennen.“

„‚Lyora‘ wirst du von mir genannt, erhellst die Herzen, den Verstand.“
Und die Dritte sprach: „‚Aydeen, die Allweise‘ will ich dich nennen, ewig wird dein Feuer brennen.“

Kaum hatten sie ihre Wünsche ausgesprochen, waren die geheimnisvollen Besucherinnen verschwunden. Dennoch gibt es Menschen, die behaupten, die Frauen hätten das Reich nie verlassen.

Als nun die Königstochter heranwuchs, erfüllten sich die Prophezeiungen der Drei.

Denn für den Menschen, der ihr fernblieb, wurde sie zum Fluch. Für den Menschen, dessen Gedanken sich erhellten, war sie ein Segen. Und für die Menschen, deren Herz erglühte, war sie das Feuer, das nie erlischt. So schön war sie.

Wer auch immer die Kraft der Königstochter spürte, wollte sie in sich behüten und bewahren.

Viele, die auch nur einen Namen der Königstochter hörten, wurden von unsagbarer Liebe und Sehnsucht ergriffen. Andere Menschen wiederum konnten dem Gerede nichts abgewinnen. Wieder andere waren sich gewiss, dass die Kraft auch in ihnen wohnt, ohne dass sie je zuvor die Königstochter gesehen hatten.
Manch Königssohn, der von ihr hörte, zog mit seiner Dienerschaft aus, um Enya Lyora Aydeen, die Allweise, zu suchen und um sie zu werben. Doch keiner wusste, ob er sich nach Osten, Westen, Süden oder Norden wenden sollte. Denn der Weg, der zu ihr führte, war niemandem bekannt. Da verließ viele der Mut, und sie blieben wartend zuhause.

Andere hingegen machten sich zügig auf, voller Hoffnung, die Königstochter zu finden. Doch welchen Weg sie auch wählten, alle Wege führten auf geheimnisvolle Weise zu ein und derselben Kreuzung.

Links und rechts davon war ein schöner Weg zu sehen, während der gerade Weg hier zu enden schien. Durch ein großes Schild wurde er verdeckt, worauf in goldener Schrift ein Rätsel stand:

Wie bei den Kühen, die da weiden,
lass die Lust für dich entscheiden,
jene Früchte zu genießen,
die wohlschmeckend von selbst entsprießen.

Friss hier und dort ein wenig weg,
glotz vor dich hin,
suhl dich im Dreck.
Die Welt, sie wird so wunderschön
für die, die diese Pfade gehen.

Links führt der Weg ins Glimmerland,
wo jeder viele Bräute fand,
und rechts der Weg zum Krug aus Stein,
träufelt dir Wissen in den Wein.

Ob links, ob rechts, ist einerlei,
oder geh abwechselnd die zwei.
Wirf die Münze, zieh ein Los,
so fällt das Glück in deinen Schoß.

Viele standen lange und rätselnd vor diesem Schild, unschlüssig, welchen der zwei Wege sie wählen sollten. Keiner wusste, wie lang die Wege sind, und welcher der beiden schneller zum Ziel führt. Denn das stand nicht auf dem Schild. Auch nicht, ob das Land der schönen Königstochter so gefunden wird.

Jedem aber, dem es gelang, ihr Königreich zu finden, kam der alte König entgegen und öffnete das Tor, das zu ihm führte. Er bat den Besucher in sein Schloss und zeigte seine Schätze und edlen Kostbarkeiten, die er all die Jahre behütet hatte.

Für seinen Gast war der alte König bereit, jede Tür zu öffnen. Doch nicht jede Tür wurde von den Besuchern gesehen, dass immer einige verschlossen blieben. Aber Erstaunen und große Freude spürte derjenige, der diese Pracht und Fülle erblickte. Und im Inneren wuchs die Begierde, die Tochter dieses Königs zu freien.

Sobald aber ein Königssohn um die Hand der Königstochter anhielt, wie es zu jener Zeit Sitte war, wurde der alte König zornig und wies ihn in sein Land zurück. So begann man im Volk zu munkeln, der König wolle seine Tochter für sich behalten und sie zuletzt selbst zum Weibe nehmen.

Doch damit lag das Volk falsch.

Denn es begab sich zu jener Zeit, dass in einem weit entfernten Königreich ein schöner Prinz geboren wurde. Durch das Sternentor der Liebe kam er vom Himmel herab. Er wurde von seinen Eltern so herzlich umsorgt, dass er zu tragen lernte, was an Kummer und Schmerz auf ihn zukam. Und die Wunder der Natur wurden ihm so vertraut, dass sein Staunen zu einem Meer wurde, das sich mit Weisheit und Güte füllte. Aus diesem Reichtum schöpfte der Prinz, um den Prüfungen seiner Erdenreise mutig und tapfer zu begegnen.

Eines Tages riefen die Eltern den Prinzen zu sich und sprachen: „Du bist nun alt genug, um dich allein im Schloss zurechtzufinden. Wir müssen für kurze Zeit verreisen. Bis zu unserer Rückkehr behüte das Schloss und sieh nach dem Rechten. Nimm diese Schlüssel und achte darauf, dass keiner verloren geht. Für jede Tür im Schloss wird sich der passende Schlüssel finden. Nur für den letzten, diesen kleinen Schlüssel, haben wir unser Lebtag gesucht, aber keine Tür gefunden, die sich damit öffnen lässt.“

Daraufhin überreichten sie ihm einen großen Bund, an dem die verschiedensten Schlüssel hingen. Kurz darauf nahmen die Eltern Abschied und machten sich auf den Weg.

Täglich öffnete der Königssohn eine der verschlossenen Türen im Schloss und freute sich über die Pracht und Herrlichkeit, die er dahinter zu Gesicht bekam. Als er endlich alle Türen geöffnet hatte, waren auch alle Schlüssel benutzt, bis auf den kleinen, für den es keine Tür gab.

Doch dieser kleine Schlüssel war es, der dem Prinzen die Ruhe raubte. Immer von neuem durchsuchte er das Schloss in der Hoffnung, die Tür zu finden, die sich damit öffnen ließ. Aber es schien sie nicht zu geben. Wieder einmal, nachdem er den ganzen Tag nach ihr gesucht hatte, betrat er sein Zimmer, um zu ruhen, denn es dämmerte bereits. Da bemerkte er an seiner Zimmertür einen zweiten Türflügel, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Wie träumend ging er darauf zu, um ihn zu öffnen. Doch die Flügeltür war verschlossen. Er holte die Schlüssel am Bund hervor und suchte nach dem kleinen Schlüssel, für den es keine Tür gab. Als er ihn endlich gefunden hatte, passte er ins Schloss. Mit ihm ließ sich die Tür öffnen.

Hinter der Tür führte eine schmale Treppe tief unter das Schloss. Voller Ungewissheit, was ihn erwarten würde, betrat der Prinz die Stufen und ging Schritt für Schritt hinab. Als er unten angekommen war, sah er ein kleines Zimmer. Durch einen zarten Lichtschein wurde es spärlich erhellt. Das Licht drang durch ein winziges Fenster, hinter dem ein schmaler Schacht nach oben führte.

Auf einem alten Tisch stand ein Bild, verhüllt mit einem Tuch. Der Königssohn ging darauf zu und nahm das Tuch ab. Da erblickte er das lebendige Antlitz der schönen Königstochter Enya Lyora Aydeen, die Allweise, und erstarrte. Von unsterblicher Liebe und Sehnsucht ergriffen sank er nieder.

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